c) Elke Gelzleichter
c) Elke Gelzleichter

Wandern - wenn der Weg zum Ziel wird

Buon camino für den Pilger in uns

Wandern, eine Art spiritueller Erfahrung in der Eifel.

Jahrzehnte sind vergangen seit jenem Urlaub von 10 Tagen auf den Wanderwegen der Nordeifel: Die Möglichkeit zu gehen, zu verharren, zu bleiben, zu schauen oder einen anderen Weg als den Vorgesehenen zu erforschen, faszinierte mich. Niemand störte meine Kreise, die ich immer weiter um Monschau und Mützenich zog, niemand bat oder forderte weiterzugehen, langweilte sich. Stundenlang saß ich im Gras, manchmal an die Rinde eines Baumes geschmiegt, eigenartige Metamorphosen im Zeitraffer durchlebend, wurde zu Gras, Baum oder Schmetterling, versank mit den Blicken in den gleisenden Spiegeln der Teiche und immer wieder schreitend, Schritt für Schritt durch Moore und Wälder, die Weite der Felder und merkwürdige Mondlandschaften mit Umkehrung der Schwerkraft. Alles in der Natur erschien rosa in diesem September: Die dicke Suppe der Morgennebel, die hohen Graswedel des "Hohen Venn" oder die kleinen Frösche, die versuchten, die Landstraße nach Aachen zu überqueren. Die wortlosen Tage beeinträchtigten meine Stimme. Das "gute Morgen" für die Pensionswirtin, den Einkauf im kleinen Lebensmittelladen an dem Fußweg nach Mützenich, das Bestellen eines Imbiss' im Restaurant, nur noch flüsternd konnte ich diese kleinen Alltagsgespräche verrichten. Diese andere, apolitische Art einer "Inneren Emigration" erlaubte mir, über das Wesentliche meines Lebens nachzudenken, meine Tiefen auszuloten und die absolute Freiheit zu fühlen, wie ich sie niemals vorher und auch nachher mehr empfunden habe. Ich beschritt gleichsam einem Pilger die Wege, deren tägliches Erleben vielleicht denen der Pilger auf dem Jakobsweg ähnelte, aufatmen ließ und nachhaltig mit neuer Kraft erfüllte.

 

Lacrimae christi, diesen Wein, der in E.T.A. Hofmanns "Elixiere des Teufels", der Lieblingserzählung meines Vaters, eine Rolle spielt, fand ich in einer smaragdgrünen Karaffe in jenem kleinen Laden an dem besagten Fußweg, das letzte Geschenk für meinen krebskranken Vater, das ich ihm an das Bett bringen konnte, das im Frühjahr 1977 sein Totenbett werden sollte. 

Viele Wege habe ich seither beschritten, gerne schon im Morgengrauen, meistens wenig von Wanderern, Walkern, Joggern frequentierte, manchmal vergessene zugewachsene Pfade, oft geht es quer feld- oder waldein, über und durch das Gezweig und Geäst umgestürzter Bäume, neue Wege bahnend. Ein Migrant aus Australien, der Teufelsfischpilz, war hier schon zu finden. Oft öffnen sich dem Blick sanfte Hügellandschaften mit hie und da uraltem Obstbaumbestand, von ferne leuchtet aus dem dunklen Grün des Waldes das neue rote Ziegeldach eines alten Bauernhofes. Manchmal gehe ich ein Stück des Jakobsweges der Speyerer-Metzer Route, die im Saar-Pfalz-Wald beginnt, den eigenen Zauber der uralten keltischen Thing-Stätte am "Stumpfen Gipfel" auf mich einwirken lassend. Manchmal zieht es aber zu den letzten Zeugen der glanzvollen Zeit der ersten Begründer der "Wittelsbach'schen Dynastie", den Herzögen von Zweibrücken, mit der Blütezeit im 18. Jhdt. Die liebste Wanderstrecke ist mir aber der alte, wenig begangene "Grubenpfad" der Grube Nordfeld, manchmal findet sich im wasserreichen Tal des Brandsbaches noch ein Rest des Abraumes der Grube, die 1905 bereits aufgegeben wurde. Ein wilder, romantischer Weg, der einige Anstrengungen erfordern kann, besonders wenn man sich über die steilen Hänge des Höcherberg-Gebietes über dem jetzt mit Wasser gefüllten "Stollenmund" wagt, mit dem Wechsel mancher Wildtiere, Fuchs und Hase sagen sich gute Nacht im wahrsten Sinne des Wortes. Heult da nicht in hellen Mondnächten ein Wolf?

Ein einsamer, stiller Weg führt durch den Wald an der Schlucht des Glans entlang, dann in ein sanft eingebettetes Tal mit Streuobstwiesen und wenn man mag, kann man bis zu seiner Quelle inmitten des Dorfes Höchen gehen.

Wie auch immer, jedes Mal zeigen sich die Wege anders, wecken andere Gedanken, andere Leidenschaften - im Ausschreiten, im Gehen, im Klettern, im Ruhen...Wandern in der Faszination des Weges – der Weg als Ziel.